Gedächtnisfunktion normal

Gedächtnissysteme
In der Alltagssprache umfasst der Begriff „Gedächtnis“ viele verschiedene Fähigkeiten, die mit dem Behalten und Abrufen von Erinnerungen, Wissen und Fertigkeiten zu tun haben. Dementsprechend wird auch in der Neuropsychologie das Gedächtnis nicht als eine einheitliche Funktion gesehen, sondern man nimmt an, dass es mehrere Arten von Gedächtnis gibt.
Gedächtnisprozesse können entlang der Zeitachse betrachtet werden. Ist die Informationsspeicherung im  Millisekundenbereich spricht man vom Ultrakurzzeitgedächtnis, im Sekunden vom Kurzzeitgedächtnis und im Jahres- bis Jahrzehntenbereich vom Langzeitgedächtnis.

Das Ultrakurzzeitgedächtnis hat eine sehr hohe Aufnahmekapazität, ist allerdings, je nach Sinnesmodalität, in seiner Speicherdauer auf wenige hundert Millisekunden begrenzt und somit eher den Wahrnehmungsprozessen zuzuordnen. Der Kodierungsprozess bereitet die Information in unverwechselbare zeitliche Sequenzen, räumliche Konfigurationen oder semantische Relationen auf, wobei die Art der Kodierung sinnesspezifisch ist.

Das Kurzzeitgedächtnis beschreibt einen im Sekundenbereich liegenden Informationsspeicher mit begrenzter Kapazität für aufgenommene bzw. gerade benutzte Information. In diesem Zusammenhang wurde auch das Modell des Arbeitsgedächtnisses entworfen, das dem kurzfristigen Halten und Manipulieren von Information entspricht (z.B. Kopfrechnen).

Damit Inhalte vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übergehen können, ist eine interne oder externe Wiederholung notwendig. Der zugrunde liegende Prozess wird Konsolidierung genannt, wobei man sich ein zyklisches Kreisen von Information im selben Abschnitt des Kurzzeitgedächtnisses vorstellt, das nach einer bestimmten Anzahl von Zyklen eine hypothetische Schwelle zum Langzeitgedächtnis überschreitet. Durch die Organisation von Wissenselementen in Gruppierungen (Chunks) können große Informationsmengen im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden, die Übertragung ins Langzeitgedächtnis erfordert ein elaboriertes Memorieren. So muss zum Beispiel ein Satz im Kurzzeitgedächtnis semantisch analysiert werden, bis seine Bedeutung verstanden wurde, um ins Langzeitgedächtnis überzugehen.

Eine andere Einteilung orientiert sich an den Inhalten der gespeicherten Informationen, bzw. an der subjektiven Erfahrung der Person zum Zeitpunkt der Wiedergabe.
Hier wurden im Laufe der Jahre verschiedene Möglichkeiten der Klassifikation vorgeschlagen (Vgl. Markowitsch, 1992). In der folgenden Abbildung (1) ist eine der gebräuchlichsten aktuellen Gedächtnisunterteilungen dargestellt.

Langzeitgedächtnis Explizit = deklarativ „Wissensgedächtnis“ meist sprachgebunden Episodisch
(eigene Lebensbiographie)
Semantisch
(Schulwissen / Weltwissen)
Implizit = prozedural „Verhaltensgedächtnis“
ohne willentliche Anstrengung
Fertigkeiten
(z.B. Eislaufen, Schwimmen, Autofahren etc.)
Priming  = Bahnung
(wiederholte Erregung erhöht den Wirkungsgrad)
klassisches Konditionieren
(z.B. Pawlow?scher Reflex)
einfaches nichtassoziatives Lernen
(nicht bewusste Form des Lernens)

Abb.1: Klassifikation von Langzeitgedächtnisleistungen
(nach Schuri, 2000)

Viele Wissensinhalte werden im Leben angewandt, ohne dass man eigentlich weiß, worin sie bestehen, und ohne dass man sie bewusst abruft. So können zum Beispiel Vorschulkinder grammatikalisch korrekte Sätze bilden, obwohl sie kein explizites Wissen von grammatikalischen Regeln haben. Episodisches und semantisches Gedächtnis hingegen haben gemeinsam, dass daraus abgerufene Information zu Inhalten des Bewusstseins werden, also nicht nur die abgerufene Information, sondern auch der Akt des Abrufens ist bewusst.

Zu den impliziten Gedächtnisformen zählt das prozedurale Gedächtnis, das aus einfachen mechanisch erlernten Handlungen und Handlungsabläufen besteht, aber auch die Tendenz beinhaltet, bevorzugt Wortanfänge zu Worten zu komplettieren, mit denen man sich vorher beschäftigt hat, bzw. Bilder schneller zu erkennen, die man vorher schon einmal gesehen hat (Priming). Auch klassisches Konditionieren und einfaches nicht assoziatives Lernen werden zu den impliziten Gedächtnisformen gezählt.